Als Heinz Schulze eines Tages im Frühjahr 1953 nach hause kam stand seine Frau Lieselotte am Herd und machte das Abendessen. Er setzte sich und auch die kleine Regina hatte sich schon mit frisch gewaschenen Fingern gesetzt. Lieselotte tischte auf und sie aßen gemeinsam. Es war reichlich und Heinz rieb sich genüßlich den Bauch während die kleine Regina aufgeregt erzählte, dass sie heute ein Schneckenrennen veranstaltet und welche Schnecke gewonnen hatte.
Da kam ganz leicht ein verführerischer Duft auf, aber Heinz wusste ihn nicht zuzuordnen. Unvermittelt begann Lieselotte zu sprechen und schimpfte, dass die Schneiderin, die immer zu den Schulze nach hause kam, schon wieder einen Termin verpasst hatte und sowieso war die so überlastet, dass die kleine Regina schon immer aus den Blusen rausgewachsen war, wenn die endlich fertig waren. Das ginge so nicht weiter, klagte Lieselotte und stand auf ohne aufzuhören zu reden. Stoffe seien gar nicht so teuer und ein bisschen nähen kann sie ja selbst auch. Sie hat doch die Nähmaschine ihrer Mutter. Lieselotte machte den Herd auf, der schmackhafte Geruch strömte heraus und Heinz erkannte ihn sofort: Gedeckter Apfelkuchen! Er liebte gedeckten Apfelkuchen und Lieselotte wusste das nur zu gut. Er wusste sofort, dass sie nur gebacken hatte, um ihm irgendetwas schmackhaft zu machen - er bemühte sich aufmerksam zu zuhören, doch das Abendessen hatte ihn träge gemacht und der süße Geruch nebelte ihn ein. Sie bräuchte nur ein paar Schnittmusterhefte, dann kann sie selbst nähen - das wäre auch viel günstiger und schneller. Ein Stück Kuchen landete auf dem Teller vor Heinz und er roch die Äpfel, den Zucker und eine Prise Zimt während Lieselotte die Schlagsahne holte und abwartend in den Händen hielt. Es gibt da so wundervolle Hefte und sie braucht auch nur 1,25 DM mehr Haushaltsgeld alle vier Wochen. Heinz mochte seinen gedeckten Apfelkuchen am liebsten heiß und das dauerte ihm alles viel zu lange - Ja, schon recht! murmelte er und griff gierig nach der Schlagsahne.
Und so begab es sich über mehrere Monate, dass Frau Gertrude Döring, von Trudis Schneiderbedarfsladen, am Monatsende behände den Namen "L. Schulze" auf die neuste Ausgabe der Praktische Mode schrieb. Trudi brauchte nie in die Unterlagen schauen, wenn sie die Namen ihrer Kundinnen vermerkte. Praktische Mode für Lieselotte Schulze, Schwabe der neue Schnitt für Hedwig Plum und so weiter.
Die Türglocke leutete und ihr Sohn Fritz stand in der Tür - wie immer dreckig vom Haarschopf bis zu den Zehen. Trudi seufzte laut und fragte sich wie der Knabe es schaffte sich an einem so kurzen Schultag so schmutzig zu machen. Sie drückte ihm den Stapel Zeitschriften und einen Groschen in die Hand, dann klopfte die dem Jungen den Hosenboden ab, seufzte nochmal dramatisch über die Staubwolke die dabei entstand und schickte ihn los, um die Zeitschriften zu den wartenden Damen zu bringen.
Lieselotte hatte inzwischen ihr zweites Kind bekommen - noch ein Mädchen. Zum Nähen kam sie daher nur sehr wenig, aber die Zeitschriften bereiteten ihr so viel Freude, dass sie sie weiterhin bezog. Aus manchen nähte sie oft und gern, die anderen legte sich behutsam in einen Karton auf dem Speicher. Dort lagen sie dann jahrelang, während die anderen Zeitschriften verloren gingen oder auseinander fielen. Nach 50 Jahren wurden die Zeitschriften wiederentdeckt und zum Verkauf angeboten. Sie fanden einen Käufer und wurden fortan wieder bestaunt, bewundert und endlich benutzt!
So oder völlig anders begab es sich, dass ich nun im Besitz eines riesigen Stapels Praktische Mode und ein paar Constanze Modehefte bin.
Ich habe die guten Stück eher zufällig bei den kleinanzeigen des bunten Auktionshauses gefunden. Die Verkäuferin hatte sie gar nicht mit angegeben, aber ich habe sie auf den Bildern entdeckt. Nach einigen Verhandlungen habe ich für 44x
Praktische Mode und 7x Sonderhefte der
Constanze 150 Euro inklusive Versand gezahlt. Das sind 2,97 Euro pro Heft - ein sehr guter Schnitt, denn alle Hefte sind vollständig und auch wenn ich es mich im Angesicht des Alters fast nicht traue zu sagen, aber manche Hefte sind wirklich wie neu! Ich bin so begeistert, dass ich nicht bis zum nächsten
Getrödelt, Gefunden, Gefreut warten konnte - ich musste sie euch gleich zeigen!
Und keine Sorge, die kleine Geschichte war nur einer langen Radtour direkt nach dem Erhalt der Hefte geschuldet - es steht auf vielen Hefte "L. Schulze" und ich fragte mich wer das ist und wer das geschrieben hat und so nahm das seinen Lauf. Ich hoffe ich habe niemanden verschreckt und ihr habt es bis zum Ende des Textes geschafft!
Was sagt ihr zu meinem neusten Griff? Ab wann ist man eigentlich Sammler und habt ihr mal bei Trudi eingekauft?